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Johann Sebastian Bach: Messe in H-Moll

7. April 2024 19:30 Uhr

Von Christoph Schulte im Walde

WARENDORF. Nach diesen zwei Stunden Musik war man völlig ergriffen. Und es fragt sich, vor wem man mehr Ehrfurcht haben muss: vor Johann Sebastian Bach, diesem genialen Komponisten, oder vor jenem Ensemble aus Soli, Chor und Orchester, das am Sonntag Bachs h-Moll-Messe aufgeführt hat.
Die St.-Laurentius-Kirche wurde zu einer Kathedrale, unter deren Gewölbe nichts anderes als ein in Musik gegossenes „Credo" zelebriert wurde. Selbstbewusst gefeiert, schmerzhaft durchlitten, von Zweifeln begleitet, bejubelt und vom immer noch unerfüllten Friedenswunsch beschlossen: "Dona nobis pacem" - eine Bitte, die dringlicher nicht sein kann als in unseren Tagen.
Mit seiner h-Moll-Messe zieht Bach gegen Ende seines Lebens quasi die Summe seiner Arbeit als Musiker und schafft mit ihr ein für die Ewigkeit geschriebenes Meisterwerk, das höchste Ansprüche an die Ausführenden stellt. Eine Herausforderung, die Laurentius-Kantor Gregor Loers anlässlich des Bachfestes 2024 angenommen und nun auf geradezu Maßstab setzende Weise erfüllt hat.
Schon nach den ersten Takten des eröffnenden „Kyrie" war klar, dass mit dem Chor „Cantus Animae" versierte Profis im Chorraum der Kirche standen. 18 junge Damen und Herren, durch und durch mit solistischen Qualitäten, die es schaffen, einen bewundernswert ebenmäßigen Klang zu produzieren ohne jegliche Ecken und Kanten, immer erfolgreich auf der Suche nach Ausdrucksstärke und danach, wie die liturgischen Texte in all ihrer Tiefe und auf ihren theologischen Gehalt hin zu deuten sind.
Der Bogen reicht weit. Von der vom Heiligen Geist glanzvoll beflügelten Fuge „Cum Sancto Spiritu" (im Gloria) über das tiefschwarze „Crucifixus" bis hin zum überirdischen „Et expecto" (beides im „Credo"). Hier schien die Zeit plötzlich völlig still zu stehen. Wer in diesem Moment keine Gänsehaut bekam, muss empathisch sein wie ein Stein.
Als kongenialer Partner des von Gregor Loers erst vor vier Jahren gegründeten Chores erwies sich das Rheinische Oratorienorchester. Streicher, Holz, Blech, Continuo-Gruppe - alles vom Feinsten und ebenso makellos in der Intonation wie die fünf Vokalsolisten, die aus dem Chor heraus agierten: Maria Portela Larisch, Hanna Schäfer, Maximilian Fieth, Konstantin Paganetti und Frederik Schauhoff.

Dass diese singuläre h-Moll-Messe in Warendorf ganz gewiss noch sehr lange Spuren hinterlassen wird, daran hat ganz erheblich auch Michael Kantrowitsch seinen Anteil. Das Licht ist sein Metier. Er kommentiert Bachs Musik, unterstützt ihre klanglich ohnehin schon breite Wirkung auf visuelle Weise. Und hier nach dem Gebot „weniger ist mehr" Kantrowitsch macht keine peppige „Lightshow", sondern setzt ruhige Akzente, um dennoch an entscheidenden Stellen Bachs Musik in die Gegenwart zu holen. Behutsam, aber trotzdem drastisch. Zwei Beispiele: „Et in terra pax" - dieser Friede ist anfangs dunkel, verdunkelt. Bis Gesichter auf Säulen und im Gewölbe erscheinen. Sie scheinen zu fragen und zu fordern: „Frieden'! Später „Qui tollis", also: Christus trägt die Sünden der Welt. Das Publikum blickt auf eine Stadt in Trümmern. Nach 1945. Zuvor schon einmal auf eine zerstörte Häuserzeile unserer Tage. Das ist einfach beklemmend. Kantrowitschs Projektionen, die den Erlöser zeigen oder die Friedenstaube mit Ölzweig im Schnabel, stellen ersehnte Utopie und Realität scharf nebeneinander. Alles in allem also ein Gesamtkunstwerk von äußerster Suggestionskraft.

Lange, nachdenkliche Stille nach dem finalen "Dona nobis pacem", dann nicht enden wollender Beifall eines schwer beeindruckten Publikums. Diese h-Moll-Messe wird sich ins Gedächtnis eingraben, gar keine Frage.

(Text aus WN - Westfälische Nachrichten vom 09.04.2024)